Ist das der neue Schullektürenklassiker in 50 Jahren?

07 Mai 2016

Der Himmel hat dir zugezwinkert, richtig? Vielleicht.
Vielleicht hat er das getan. Oder vielleicht waren es nur ein Flugzeug und eine Wolke.
Aber wenn der Himmel irgendwem zuzwinkert, dann vermutlich eher den nicht so angesehenen Suchern; den Leuten, die in entsorgtem Krempel wühlen und die Gassen der Avenue vorziehen, die lieber durch die Lücken in der Hecke gehen als durch ein von Trompetern flankiertes Tor.
Wahrscheinlich liegen deswegen keine nachprüfbaren Beweise vor, nicht wahr?
Das Universum zwinkert nur jenen zu, denen ohnehin keiner glaubt.
(S.280)




Titel: Die Schneekönigin
Autor: Michael Cunningham
Seitenanzahl: 288
Verlag: Luchterhand
Erschienen am: 23. Februar 2015
Leseprobe: Klick hier






Inhalt


In einem etwas entlegenerem und nicht ganz so teuren Stadtteil New Yorks leben die zwei Brüder Tyler und Barrett. Tyler, ein begabter Sänger und Songwriter, der noch immer auf den Erfolg wartet und Barrett, der einer großen Liebe nach der nächste hinterher jagt und eines Abends ein geheimnisvolles Licht am Himmel über dem Central Park sieht. Unmittelbar darauf scheint sich Tylers todkranke Freundin Beth zu erholen. Ein Wunder? Sicher ist sich Barrett nicht, doch Folgen hat es auf jeden Fall und bald wird ihr aller Leben umgekrempelt.


Meine Meinung


Dem wirklichen Klappentext zufolge erwartete ich eine moderne Umschreibung des berühmten Andersen-Märchens, ähnlich den vielen Cinderella Adaptionen, wie zum Beispiel Die Luna-Chroniken. Meine Vermutungen hätten nicht ferner der Realität liegen können. Doch es soll mir eine Lehre sein. Schon einmal vorab: Was das Buch getan hat, um den Titel Die Schneekönigin zu tragen, ist mir noch immer ein Rätsel.

Pulitzerpreisträger Michael Cunningham, Autor des berühmten Romanes Die Stunden, gehört ab sofort nicht mehr zu der gesichtslosen Masse mir-nichts-sagender-Autoren und hat mittlerweile ein Plätzchen bei den "Aha!-Schriftstellern".
Ich bin wohl zu jung/dumm/unerfahren (sucht euch was aus) um die Essenz des Romanes richtig zu erfassen, immerhin ist es (verdammt nochmal!) ein Michael Cunningham Buch und gehört auf eine Liste undurchschaubarer Schullektüren, die man bis zur Farbe der Gardinen analysieren kann.
Wer weiß, vielleicht werden unsere Kinder in 50 Jahren im Englischunterricht nicht mehr Harper Lee, sonder Michael Cunningham und statt To Kill a Mockingbird Die Schneekönigin lesen. Man weiß es nicht, für möglich halte ich es aber durchaus, so wie der Autor mit Metaphern um sich wirft.
Allerdings kann ich mir zugute halten, dass ich überhaupt gemerkt habe, dass ich noch zu unintellektuell für diese Sorte Buch bin und kann somit wenigstens versuchen, eine Rezension für Die Schneekönigin zu schreiben.


Die Personenkonstellationen und Charaktere sind wohl das Interessanteste am Buch:
Da gibt es zum einen Tyler, der sehr unzufrieden mit sich und seiner Umwelt ist und meiner Meinung nach noch am meisten Bezug zur Schneekönigin findet. Durch ihn erfahren wir mehr über die jeweilige globale Situation, da er manchmal die politische Lage kritisch kommentiert.
Gegenstück und gleichzeitig Ergänzung ist sein Bruder Barrett, der etwas zufriedener und ausgeglichener ist. Weniger wertend und auf der Suche nach der wahren Liebe lebt er sein bescheidenes Leben, erfreut sich an kleinen, alltäglichen Dingen und fragt sich seit jener gewissen Novembernacht, ob er im Central Park das Auge Gottes am Himmel gesehen hat.
Mit diesem Wunder unweigerlich verknüpft ist Beth, die zum Tode verurteilte Freundin und große Liebe Tylers, die irgendwie mit beiden Brüdern gleichzeitig verheiratet ist und ein heilendes Licht am Himmel bitter nötig hat, da sie schwer krebskrank ist.
Neben dieser etwas komplexen Konstellation (ich hoffe, ihr könnt mir noch folgen) zieht die eigensinnige Liz ihre Kreise. Entgegen ihrem fortschreitendem Alter beginnt sie immer wieder Affairen mit viel jüngeren und dümmeren Männern und versucht ihren Platz im Leben zu finden.
Ihr merkt, Schwerpunkt des Buches sind sehr menschliche und unterschiedliche Charaktere, die einfach nur ihr Leben nach ihren Philosophien leben und versuchen, längst verblasste Träume zum Bleiben zu überreden. Mit anderen Worten, sie haben eine Midlife-Crisis.
Hauptaussage für mich ist, dass das Leben immer weiter geht, egal ob wir mithalten können oder nicht. Manchmal müssen wir alte Träume loslassen um weiter ziehen zu können und uns ein neues Ziel suchen. Außerdem steht die Liebe sehr im Mittelpunkt, in all ihren kunterbunten Formen. Was ist Liebe?
Es werden ziemlich viele und unterschiedliche Antworten geliefert, zum Beispiel die scheinbar perfekte Beziehung zwischen Beth und Tyler, welche sich sehr wandelt und durch eine neue mit Liz ersetzt wird.
An die, die das Buch bereits gelesen haben: Es ist doch schon sehr verdächtig, dass Liz und Beth beide den gleichen Namen haben, oder?

Fazit


Ob diese Deutung jetzt "richtig" ist, ist mehr als fragwürdig, doch diese Botschaft habe ich für mich mitgenommen und das ist ja schlussendlich die Hauptsache, right?
Ich hoffe, meine kleine Aufdröselung des Romanes (die eher einer Analyse als einer Rezension gleicht) kann euch ein bisschen helfen, zu bestimmen, ob ihr nun Lust auf so eine Portion Literatur habt oder nicht. Es versteht sich von selbst, dass man Die Schneekönigin unter 15 Jahren zwar natürlich lesen kann, aber dann wahrscheinlich noch weniger versteht als ich ... behaupte ich jetzt einfach mal.
Ansonsten kann ich euch noch sehr die Leseprobe ans Herz legen, da sie einen guten Einblick auf den Schreibstil Michael Cunninghams gibt.
Da der Roman nicht meine Erwartungen erfüllte, ich nicht wirklich auf 300 Seiten schwere Literatur gefasst war, aber sowohl Lesefluss als auch Geschichte von mir kaum (ein bisschen träge und zäh ist es schon) bemängelt werden können, kann ich ihn an alle Fans des Autoren weiter empfehlen und an die, die nach dieser Rezension Lust auf mehr haben. Ihr solltet jedoch wirklich am Autor, am Klappentext oder an der Sprache interessiert sein, da Die Schneekönigin kein Buch ist, dass man in einem Rausch durchliest, sondern für dass man sich eher jeden Tag eine Stunde Zeit nimmt um ein paar Sätze zu lesen. Jede Seite ist vollgestopft mit Metaphern und Exkursen und ich bin wirklich froh, dass ich irgendwann am Ende der Geschichte angelangt war.

3 von 5 Punkten



Danke


an Elsa Antolin der Verlagsgruppe Randomhouse für das schöne Rezensionsexemplar, welches mir meine erste Erfahrung mit Michael Cunningham ermöglichte ;)

2 Kommentare:

  1. Hallo Jo,
    also ich mag deine Rezi und wie du sie geschrieben hast :) Diese Art Literatur finde ich schon faszinierend, vor allem, was man alles hineininterpretieren kann (bis zu den Gardinen, die nicht nur einfach blau sind, sondern die SChwermütigkeit des Verfassers darstellen und so weiter :D), aber bisher haben sie mich thematisch noch nicht so sehr angesprochen, dass ich sie lese. "To Kill a Mockingbird" habe ich aber schon hier, mal sehen, wann ich mich daran probiere :)

    Liebe Grüße und einen wunderbaren Start in die Woche,
    Noemi

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    1. Vielen Dank Noemi ♥
      Da hat jemand auch den Gardinenwitz gelesen ;)
      Wünsche dir noch ganz viel Spaß mit "To Kill a Mockinbird" - Das Buch lohnt sich wirklich.
      Ganz liebe Grüße,
      Jo ♥

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